Drucksache 17 / 11 998 Kleine Anfrage 17.17. Wahlperiode
Kleine Anfrage
des Abgeordneten Christopher Lauer (PIRATEN)
vom 24. April 2013 (Eingang beim Abgeordnetenhaus am 29. April 2013) und Antwort Medikamenten- und Drogenrückstände im Berliner Wasser
Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre
Die Einschätzung der Belastung von Oberflächenge-
wässern hinsichtlich des Umweltrisikos für Flora und
Fauna erfolgt anhand der für verschiedene Arzneistoffe
1. Welche Mengen an Medikamenten (Antibiotika
auf der Grundlage von ökotoxikologischen Wirkungstests
etc.) werden nach Kenntnis des Senats jährlich in Berlin
nach standardisierten Verfahren abgeleiteten Umweltqua-
litätsnorm-Vorschlägen (UQN-V). Im Mittelpunkt der
Diskussionen um eine Regelung von Arzneistoffen in
Zu 1.: Die gewünschten Daten zur Medikamentenent-
Gewässern stehen seit einigen Jahren die Arzneistoffe
sorgung werden nicht erhoben und können daher nur ge-
Diclofenac (Antiphlogistika = Entzündungshemmer),
schätzt werden. Die Apotheken sind seit 2009 nicht mehr
Carbamazepin (Antiepileptikum) und Sulfamethoxazol
verpflichtet, Altmedikamente zurückzunehmen. In Berlin
(Antibiotikum). Alle nachfolgenden Ausführungen zur
bietet die Berliner Stadtreinigung (BSR) in Kooperation
Gewässerbelastung beziehen sich auf diese drei Wirk-
mit der Berliner Apothekerkammer die „MEDI-
stoffe. Diese Stoffe haben grundsätzlich auch eine Indi-
Tonne“ an. Diese wird derzeit von 230 Apotheken in Ber-
katorfunktion für die Belastungssituation mit weiteren
lin genutzt. Sie dient der Rücknahme von Altmedika-
menten, aber auch von nichtinfektiösen medizinischen
Abfällen (z. B. Verbände, Einwegkleidung) und haus-
Die Arzneistoffkonzentrationen in Berliner Oberflä-
müllähnlichen Abfällen. Die BSR kann keine genauen
chengewässern variieren in Abhängigkeit des Abwasser-
Angaben dazu machen, wie viele Altmedikamente über
anteils vom Gesamtabfluss. Der Vergleich der vorliegen-
die „MEDI-Tonne“ entsorgt werden. Zusätzlich wurden
den Untersuchungsdaten mit den UQN-V zeigt, dass in
auf den Schadstoffannahmestellen der BSR-Recycling-
den Gewässern bzw. Gewässerabschnitten mit erhöhten
höfe 2012 rund 8 Tonnen Altmedikamente aus Haushal-
Abwasseranteilen (z.B. Vorstadtspree, Tegeler See, Tel-
towkanal) die Normvorschläge erreicht und teilweise
deutlich überschritten werden. Entsprechend dieses Be-
wertungsansatzes ist in stark exponierten Gewässerab-
2. Welche Mengen an Medikamenten (Antibiotika
schnitten eine Schädigung der aquatischen Ökosysteme
etc.) werden nach Kenntnis des Senats jährlich über das
aufgrund erhöhter Arzneistoffkonzentrationen als wahr-
scheinlich anzusehen. In Gewässern mit geringen bis mitt-
leren Abwasseranteilen liegen die Konzentrationen unter-
halb der analytischen Bestimmungsgrenzen bzw. der
3. Wie hoch schätzt der Senat die Belastung des
Bezüglich der Einschätzung der Belastung des Trink-
Trinkwassers und der Gewässer im Stadtraum Berlin mit
Rückständen von Medikamenten und Drogen ein?
Zu 3.: Zur Belastung des Berliner Trinkwassers und
4. Wie häufig werden das Trinkwasser und die Ge-
des Oberflächengewässers mit Drogenrückständen liegen
wässer im Stadtraum Berlin durch welche Stellen auf
der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales sowie
welche Medikamenten- und Drogenrückstände hin be-
der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt
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Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 998
Zu 4.: Die Trinkwasserverordnung (TrinkwV 2001)
ofenac, Sulfamethoxazol) bzw. unter 0,5 µg/l (Carbama-
dient der Umsetzung der EU-Trinkwasserrichtlinie. In § 6
zepin). Im Tegeler See wurden mittlere Konzentrationen
Absatz 3 der Trinkwasserverordnung wird gefordert, dass
von rd. 0,1 µg/l für Diclofenac, rd. 0,2 µg/l für Sulfame-
Konzentrationen von chemischen Stoffen, die das Trink-
thoxazol und rd. 0,6 µg/l für Carbamazepin festgestellt.
wasser verunreinigen oder seine Beschaffenheit nachteilig
Im Unterlauf des Teltowkanals, der insbesondere in den
beeinflussen können, so niedrig wie dies technisch mög-
Sommermonaten durch extrem hohe Abwasseranteile
lich ist gehalten werden sollen (Minimierungsgebot). Ein-
gekennzeichnet ist, wurden im Untersuchungszeitraum
zelne chemische Wirkstoffe z. B. aus Medikamenten sind
2009 und 2010 zeitweise Konzentrationen zwischen 1 und
nach Vorgaben der TrinkwV 2001 nicht zu untersuchen.
Im Rahmen der freiwilligen Eigenüberwachung der
Trinkwasserqualität wurden im Labor der Berliner Was-
6. Kann der Senat ausschließen, dass die unkontrol-
serbetriebe (BWB) von 2008 bis 2011 mindestens 4x jähr-
lierte Aufnahme von Medikamenten und Drogen über das
lich Untersuchungen auf Medikamente und seit 2012
Trinkwasser gesundheitliche Auswirkungen auf Men-
mindestens 2x jährlich im Trinkwasser aus jedem Was-
serwerk durchgeführt. Die Untersuchungsergebnisse zum
Trinkwasser sind der Antwort zu Frage 5 zu entnehmen.
Zu 6.: Das Trinkwasser wird durch die freiwillige Ei-
genüberwachung der BWB regelmäßig auf Spurenstoffe
Im Rahmen des Oberflächenwassermonitorings der
kontrolliert. Zur gesundheitlichen Bewertung der Spuren-
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt wur-
stoffe hat die Trinkwasserkommission beim Umweltbun-
den zuletzt in den Jahren 2009 und 2010 an Messstellen in
desamt einen Gesundheitlichen Orientierungswert (GOW)
Dahme, Spree, Oberhavel und Teltowkanal für ausge-
eingeführt. Dieser wird verwendet bei Anwesenheit von
wählte Arzneistoffe Sonderuntersuchungen durchgeführt.
Stoffen im Trinkwasser, deren humantoxikologisch be-
Es erfolgten 6 - 12 Beprobungen pro Messstelle und Jahr.
wertbare Datenbasis nicht gegeben oder unvollständig ist
Eine gesetzliche Verpflichtung zu regelmäßigen Arz-
und deren mögliche Anwesenheit nicht durch einen
neistoffuntersuchungen besteht derzeit nicht. Ergänzend
Grenzwert in der Trinkwasserverordnung geregelt ist.
liegen der Senatsverwaltung Untersuchungsergebnisse der
Eine Höhe von 0,1 µg/l dient als erste Bewertungsbasis.
Berliner Wasserbetriebe aus dem Zeitraum 2007 - 2012
Eine Einstufung im Bereich größer 0,1 µg/l bis kleiner /
für weitere Messstellen und Gewässer vor, die im Rah-
gleich 3 µg/l wird dann empfohlen, wenn wissenschaft-
men verschiedener Forschungsprojekte erhoben wurden.
lich belastbare Aussagen zum toxikologischem Potential
5. In welcher Größenordnung wurden in den letzten
Die Untersuchungsergebnisse der BWB zeigen, dass
fünf Jahren im Trinkwasser sowie in Gewässern im Stadt-
diese toxikologischen Vorgaben zurzeit im Berliner
raum Berlin Medikamenten- und Drogenrückstände ge-
Trinkwasser eingehalten werden. Daher ist mit hinrei-
funden, um welche Wirkstoffgruppen handelte es sich
chender Sicherheit davon auszugehen, dass das Berliner
dabei, und in welchen Trinkwasserproben sowie Gewäs-
Trinkwasser keine gesundheitlich schädliche Auswirkung
Zu 5.: In messbaren, aber sehr geringen, Konzentrati-
Aufgrund der demographischen Entwicklung, des da-
onen gelangen einige Einzelsubstanzen wie iodierte
mit verbundenen zunehmenden Anteils an älteren Men-
Röntgenkontrastmittel und einige Medikamente wie
schen, ist ein steigender Humanarzneimittelkonsum wahr-
Carbamazepin (Antiepileptikum), Diclofenac, Phenazone
scheinlich und damit einhergehend mit einem Anstieg der
(Schmerzmittel), Sulfamethoxazol (Antibiotikum), Pri-
Freisetzung in die Gewässer zu rechnen. Im Sinne des
midon (Antikonvulsivum) u. a. als sog. „Spurenstoffe“ in
Vorsorgeprinzips sollte daher der heute gegebene Hand-
die Oberflächengewässer. Nur wenige der genannten
lungsspielraum genutzt werden, um den Übergang von
Arzneistoffe werden in den Brunnen der Wasserwerke im
Medikamenten in das Trinkwasser zu verringern.
unteren µg/l-Bereich gefunden. Die naturnahe Aufberei-
tung des Rohwassers zu Trinkwasser durch Uferfiltration
führt in einigen Fällen zur Eliminierung von Spurenstof-
6a.: Welche Wirkstoffgruppen von Medikamenten
fen, andere wie das Carbamazepin können die Aufberei-
und Drogen werden dabei als besonders problematisch
tung passieren und werden im Trinkwasser in niedrigen
Konzentrationen bis 0,12 µg/l nachgewiesen. Der ent-
sprechende Gesundheitliche Orientierungswert (s. Ant-
wort zu Frage 6) liegt bei 0,3 µg/l. Zum Vergleich: Um
die Konzentration von einer Tablette Carbamazepin mit
200 mg zu erreichen, müssten 1 666 667 Liter Trinkwas-
Wie bewertet der Senat die Notwendigkeit der
ser mit einer Konzentration von 0,12 µg/l getrunken wer-
rechtlichen Verankerung von Umweltqualitätsnormen und
Grenzwerten für wichtige Wirkstoffe und wird er sich
Die in Oberflächenwasserproben gemessenen Kon-
zentrationen lagen in den Gewässern mit geringem bis
mittlerem Abwasseranteil im Mittel unter 0,1 µg/l (Dicl-
Abgeordnetenhaus Berlin – 17. Wahlperiode Drucksache 17 / 11 998
Zu 7.: Auf europäischer Ebene ist im Rahmen der
tionen für die Öffentlichkeit zum Umgang mit alten Me-
Fortschreibung der Richtlinie 2008/105/EG über Um-
dikamenten „Alte Arzneimittel richtig entsorgen“ einge-
weltqualitätsnormen im Bereich der Wasserpolitik eine
stellt. Um den Eintrag von Medikamenten über die Klär-
Verabschiedung von verbindlichen Umweltqualitätsnor-
anlagen in das Oberflächengewässer zu reduzieren, ist es
men für Arzneistoffe in Oberflächengewässern vorerst
erforderlich, dass alte Arzneimittel nicht über die Toilette
gescheitert. Aufgrund einer unzureichenden Datengrund-
oder das Waschbecken entsorgt werden. Eine Entsorgung
lage haben sich die Mitgliedsstaaten darauf verständigt,
kann über die Sammelstellen der BSR oder über Apothe-
zunächst ein umfassendes europaweites Monitoring auf-
ken, die eine Rücknahme anbieten, erfolgen. Da eine me-
zulegen. Zudem wird die EU-Kommission bis 2014 eine
dizinisch notwendige Medikamenteneinnahme erforder-
grundsätzliche Strategie zum Umgang mit Arzneistoffen
lich ist, kann somit ein zusätzlicher Eintrag in die Umwelt
vorlegen. Auf nationaler Ebene steht aktuell eine Überar-
beitung der Verordnung zum Schutz der Oberflächenge-
wässer (Oberflächengewässerverordnung vom 20. Juli
2011 - OGewV) einschließlich der darin deutschlandweit
9. Welche Kosten sind durch die Beantwortung die-
geregelten Stoffe an. In diesem Prozess wird von Seiten
des Umweltbundesamtes eine Aufnahme von Arzneistof-
fen mit besonderer Gewässerrelevanz in Deutschland an-
Zu 9.: Die Höhe der entstandenen Kosten wurde nicht
gestrebt. Der Senat wird eine einheitliche nationale Re-
gelung mit gesetzlich festgeschriebenen Umweltqualitäts-
10. Aufgrund welcher Datensätze bzw. Unterlagen
wurden oben stehende Fragen beantwortet und inwieweit
8. Sieht der Senat die Notwendigkeit, Maßnahmen zu
wäre es möglich, diese (ggf. in aufbereiteter Form) auf
ergreifen, um die Eintragungen von Medikamenten- und
dem Berliner Open-Data-Portal einzustellen und fortlau-
a. Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen ergreift
der Senat bereits oder wird er ergreifen?
Zu 10.: Die Fragen wurden teilweise aufgrund von In-
b. Wenn nein, warum ergreift er keine Maßnahmen?
formationen, die bereits auf anderen Internetseiten z. B.
des Umweltbundesamtes oder der BSR veröffentlicht
Zu 8.: Die Trinkwasserverordnung fordert für Spuren-
sind, beantwortet. Die Ergebnisse von Untersuchungen
stoffe ein Minimierungsgebot (s. Antwort zu Frage 4).
auf Medikamente werden durch die BWB gemeinsam mit
Dieses wird zurzeit von den BWB eingehalten.
den Analysenergebnissen im Rahmen der Eigenüberwa-
chung regelmäßig an das Landesamt für Gesundheit und
Dennoch ist es erforderlich, die Situation zu beobach-
Soziales (LAGeSo) übermittelt. Das LAGeSo ist für die
ten und durch regelmäßige Untersuchungen und wissen-
zentrale Trinkwasserüberwachung und die EU-Berichter-
schaftliche Forschungen zu begleiten. Derzeit werden im
stattung nach der Trinkwasserverordnung zuständig. Die
Rahmen verschiedener Forschungsprojekte die Möglich-
Ergebnisse der Untersuchungen auf Medikamente sind
keiten der Entfernung organischer Spurenstoffe im All-
jedoch nicht berichtspflichtig. Bei Bedarf werden sie vom
gemeinen und Arzneistoffe im Besonderen aus Kläranla-
LAGeSo oder den BWB auf konkrete Anfragen z. B. im
genabläufen der Berliner Wasserbetriebe untersucht.
Rahmen von wissenschaftlichen Arbeiten (Studenten,
Hierzu zählen die Projekte ASKURIS („Anthropogene
Spurenstoffe und Krankheitserreger im urbanen Wasser-
kreislauf: Bewertung, Barrieren und Risikokommunika-
Die für die Beschreibung der Gewässerbelastung ver-
tion“) und IST4R („Vergleich verschiedener Verfahrens-
wendeten Daten des Oberflächengewässermonitorings der
varianten der weitergehenden Abwasserreinigung zur
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt kön-
Entlastung der Berliner Gewässer – Integration der Spu-
nen über das Internet zur Verfügung gestellt werden.
renstoffentfernung in Technologieansätze der 4. Reini-
gungsstufe bei Klärwerken“). Das Projekt IST4R wird
durch das Berliner Umweltentlastungsprogramm cofinan-
ziert. Der Senat wird sich in Abstimmung mit dem Land
Brandenburg und den Berliner Wasserbetrieben dafür
einsetzen, dass mit Hilfe der Ergebnisse der Forschungs-
projekte eine für die spezifische Berliner Abwasserzu-
sammensetzung und besondere Belastungssituation ge-
Emine D e m i r b ü k e n - W e g n e r
eignete, kosteneffiziente Strategie zum Schutz der Ge-
Darüber hinaus sind auf der Homepage der Senats-
(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 05. Jun. 2013)
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